#Ehemalige berichten – „Eigentlich wusste ich schon seit der Sek. I, dass ich einmal Lehrerin werden möchte“

„Und, weißt du schon, was du einmal machen willst?“ Diese Frage begleitet wohl viele junge Erwachsene während ihrer Schulzeit und besonders häufig wird sie gegen deren Ende  gestellt. Meine fast schon panische Antwort auf die Frage war lange Zeit: „Ich weiß es noch nicht.“ Aber eigentlich wusste ich schon seit der Sekundarstufe I, dass ich einmal Lehrerin werden möchte.

Nach zwölf Jahren Schule stand für mich jedenfalls erstmal fest, dass ich mein durch G8 gewonnenes zusätzliches Jahr gerne im Ausland verbringen möchte. So hat es mich für ein halbes Jahr nach Manchester in England verschlagen. Diese Zeit hat mir unter anderem eines gezeigt: Nämlich, dass es in unserer Region gar nicht so blöd ist, wie man manchmal denkt, und dass es schön ist, Wurzeln zu haben, zu denen man gerne zurückkehrt.

Nach langem Ringen bin ich eigentlich dort gelandet, wo ich in der 13. Klasse nie landen wollte: in Göttingen. Viel zu nah an Eschwege, dachte ich mir noch zu Schulzeiten. Dort studiere ich mittlerweile im 1. Mastersemester Lehramt mit den Fächern Deutsch und Geschichte. Diese Fächer haben mich in der Schule schon immer sehr interessiert und in mir Lust auf mehr Wissen geweckt. Das ist vermutlich auf einen ansprechenden Unterricht zurückzuführen.

Im Studium wird einem erstmal eins bewusst: Das Klischee, dass man sich im Studium nur noch mit dem beschäftigen muss, was einem auch wirklich Freude bereitet, ist nicht wahr. Ob in der Schule, in einer Ausbildung, im Studium oder später im Beruf − es wird immer Themen geben, die mehr oder weniger Spaß bereiten. Darauf hat die Schule keinesfalls ein Monopol, auch wenn das wohl eine verbreitete Vorstellung unter Schüler_innen ist.

Meine Fächerkombination ist sehr les-und schreiblastig. Das bedeutet, dass ich viele Texte lesen und Hausarbeiten schreiben muss. Schon im ersten Semester habe ich gemerkt, dass ich sehr guten Deutschunterricht genossen habe. Zitation, Rechtschreibung, Kommasetzung und Verwendung des Konjunktivs waren für mich kein Problem und haben mir die neuen Herausforderungen und Prüfungsleistungen im Studium deutlich erleichtert. Auch, wenn diese Themen in der Schule besonders unbeliebt sind − spätestens im Studium habe ich gemerkt, dass sich der Unterricht und das Lernen ausgezahlt haben.

Kritisch betrachte ich heute das deutsche Schulsystem. Ich habe meinen fachlichen Schwerpunkt auf die deutsche Aufarbeitungsgeschichte gelegt. Das bedeutet, dass ich mich für den Umgang Westdeutschlands mit der NS-Vergangenheit interessiere. Dazu habe ich auch meine Bachelorarbeit geschrieben und eine Analyse für Eschwege vorgenommen. Durch die eingehende Beschäftigung mit diesem Thema wurde mir klar, dass in unserem Schulsystem die Themen Politik und Geschichte viel zu kurz kommen. Nach einer aktuellen Umfrage der Zeit sprechen sich mehr als 50 Prozent der Deutschen dafür aus, den Nationalsozialismus mitsamt aller Verbrechen und Gräueltaten nicht mehr thematisieren zu wollen. Bei dieser Umfrage werden besonders große Wissenslücken deutlich: Denn fast 60 Prozent haben angegeben, dass nur Hitler und eine kleine Elite um ihn am NS verantwortlich gewesen seien. Wie die Forschung bereits seit mehreren Jahrzehnten unumstößlich festgestellt hat, ist das Gegenteil der Fall. Ohne die Beteiligung der deutschen Mehrheitsbevölkerung wäre der NS und die Vernichtung von Millionen von unschuldigen Menschen nicht möglich gewesen. Daraus lässt sich ableiten, dass auch „normale“ Personen zu Täter_innen werden können. Besonders in Anbetracht des Rechtsrucks in Europa und auf der ganzen Welt, dem erhöht aufkommenden Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit muss es doch die oberste Aufgabe von Schule sein, solche Tendenzen und Entwicklungen zu verhindern. Die Shoa hat vor nicht einmal 100 Jahren gezeigt, wohin das alles führen kann. Jetzt fordern 60 Prozent der Deutschen das zu vergessen. Genau da müssen Geschichts-und Politikunterricht ansetzen: Die Kombination aus historischer Überlieferung und politischen Handlungsmöglichkeiten erzieht Schüler_innen zu mündigen Bürger_innen, bestenfalls zu Demokraten_innen. Damit Auschwitz nie wieder sei, muss aus meiner Sicht unbedingt eine Erhöhung der Stundenzahl des Geschichts-und Politikunterrichts erfolgen.

Ist das nicht wichtiger als die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten, Geschwindigkeiten, Durchführung von Experimenten oder die 10. Analyse der Erzählperspektive?

von Esther Junghans, Abitur 2015

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