- Liebe Elke, zurzeit können wir im Foyer der Schule eine kleine Ausstellung mit Kunstwerken bewundern, die Schülerinnen und Schüler aus der Q 2 angefertigt haben. Welche konkrete Aufgabe hattest Du ihnen gestellt?
Elke Rittenbach: Die Aufgabenstellung lautete: „Gestalten Sie ein abstraktes, rhythmisch bewegtes Relief als Synthese aus verschiedenen vorgefertigten und bemalten Materialien. Greifen Sie dabei die Ideen des Künstlers Alexander Archipenko in seinem Werk „Zwei Gläser auf einem Tisch“ aus dem Jahr 1919/20 als Bildzitat auf, um zu einer eigenenabstrakten Komposition mit dynamischer Wirkung zu gelangen, die den Raum intensiv einbezieht.“ Diese Aufgabe war eingebettet in die unterrichtliche Auseinandersetzung mit Werken der Klassischen Moderne, die unterschiedliche Abstraktonsprozesse aufweisen. Der Weg vom analytischen Kubismus über den synthetischen Kubismus bis hin zum abstrakten Kunstwerk war Ausgangspunkt und Ziel der bildpraktischen Aufgabe zugleich.
2. Was ist für Dich das Faszinierende an diesen Stilrichtungen?
Das Faszinierende dieser Stilrichtungen ist die Darstellung unserer komplexen Wahrnehmung, die uns hier simultan, transparent, mit dem Blick ins Verborgene und Unsichtbare die Kunst erst verstehen lässt. Unsere Wahrnehmung ist mehr als nur das dreidimensionale Sehen und löst sich von dieser Vorstellung komplett. Als Mathematik- und Kunstlehrerin ist es für mich das spannendste Thema überhaupt, denn hier begegnen und trennen sich meine beiden Fächer auf eine besondere „abstrakte“ Weise. „Ein fester Blickpunkt [hat zur Folge], dass wir stillstehen […], dabei wissen wir doch alle, dass unsere Augen sich bewegen.“[1]
3. Sprang der Funke auf die Schüler über?
Das Besondere und Beeindruckende war für mich als Kunstlehrerin zu beobachten, dass die Schüler der Q2 bewusst den Schritt in die Abstraktion an der Grenze von abstrahiert zu abstrakt geschafft haben und dabei einzigartige Kunstwerke entstanden sind, die so individuell sind wie jeder Einzelne von ihnen, obwohl der Ausgangspunkt für alle der Gleiche war. Die intensive Auseinandersetzung mit Werken berühmter Künstler wie Picasso, Kandinsky, Braque, Gris, Mondrian und Archipenko und deren Abstraktionsprozesse im Unterricht waren Voraussetzung für den entscheidenden Schritt weg von der gegenständlichen Darstellung der Wirklichkeit, den alle gemeistert haben. Ich war am Tag der Präsentation von der Exklusivität und der Tiefgründigkeit der Werke überwältigt.
4. Welchen Schwierigkeiten mussten die Schülerinnen und Schüler bei der Umsetzung der Aufgabe bewältigen?
In Anlehnung an das abstrakte Kunstwerk „Zwei Gläser auf einem Tisch“ von Archipenko bestand die Schwierigkeit darin, einen eigenen interessanten Ausgangspunkt zu finden, d.h., zwei formal gegensätzliche Dinge, die inhaltlich in einer starken Beziehung stehen, zu finden. Eine Synthese aus Formen, Farben, Materialien und deren Komposition sollten später den Ausgangspunkt des Abstraktionsprozesses nur noch erahnen oder unsichtbar werden lassen. Die besondere bildpraktische Herausforderung war, aus der ebenen mehrschichtigen Bildfläche ein plastisches Bildwerk herauszuarbeiten.
5. Und wie hat das alles – trotz der Einschränkungen durch Corona – geklappt?
Der Wechsel von Distanz- und Präsenzunterricht, Konsultationen in Videokonferenzen, Literaturstudium in Moodle, usw. machten es möglich, die Schülerinnen und Schüler trotz Abstand im Gestaltungsprozess zu begleiten. Gleichzeitig nutzten die Schüler die Freiheit und die gewonnene Zeit, um zu Hause selbstständig und in hoher Eigenverantwortung ohne Zeitdruck bildpraktisch zu arbeiten. Dabei empfanden sie das Kreativsein als positiven Ausgleich.
Eine große Wertschätzung ihrer Arbeit war dann, dass sie trotz Corona am OG ihre Werke und den Weg zum Kunstwerk in einer eigenen Ausstellung im Foyer präsentieren konnten − auch als Ausgleich zum bereits zur Tradition gewordenen Kultursalon, einer Vernissage am OG, die leider wegen Corona nicht möglich war. Schüler und Lehrer der Schule konnten unter Beachtung der Abstandsregeln die Kunstwerke genießen.
[1] Zitat von Hockney 1997